Komposition

Marius Militzer
Marius Danielo Militzer während seines USA Studienaufenthaltes, auf einem Hausboot am Hudson River in Manhattan, New York City, New York, USA Foto: © H. Gottlieb

Das Werkverzeichnis von Marius Danielo Militzer umfasst u.a. preisgekrönte Konzertstücke für die Konzertgitarre, genredefinierende Werken für die E-Gitarre, Kompositionen für Elektronic und andere Besetzungen sowie, als Co-Komponist, Musik für Bühne und Theater und Soundkompositionen, von denen sich eine in ihrer Inszenierung zur größten Klangkunstinstallation der Welt auftürmte.

Ein kleiner Einblick hinter die Kulissen:

Musik und Zeit

Schon früh war Marius Militzer umtriebig in der Erforschung der Phänomene Musik, Zeit und Bewusstsein. Um Klarheit über die Beschaffenheit des Phänomenes Zeit zu erlangen, führte Militzer bereits als Teenager, eigenen Überlegungen folgend, ein Experiment durch, von dem er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass er sich hier Techniken aus der klassischen Performancekunst (siehe hier auch unter Ausbildung – Klassische Performance / Einweisung in die Kunst der Performance durch die Künstlerin Heike Gottlieb) bediente.

Mit dem festen Willen, das Vergehen der Zeit bewusst wahrzunehmen, verharrte er über mehrere Stunden, mit geöffneten Sinnen, körperlich regungslos. Doch so eisern in der Entschlossenheit er dies auch versuchte, es gelang ihm nicht. Es stellte sich für ihn heraus, dass die Wahrnehmung aus einer unendlichen Folge von Einzelereignissen besteht, welche im Nachhinein gedanklich als vermeintliche zeitliche Abfolge zusammengesetzt wird.

Die Überlegung, dass Musik eine Kunst sei die sich in der Zeit entfaltet, wurde durch dieses Experiment für ihn massiv in Frage gestellt. Stellte es sich nicht vielmehr so dar, dass die Musik die Zeit bzw. die Illusion hiervon, erschafft.

Hieraus ergaben sich für Militzer in seinen späteren Kompositionsprozessen höchst interessante Überlegungen: wie müssen akustische Ereignisse beschaffen sein, damit diese in der Erinnerung als zusammengehörig empfunden werden? Wie lange dürfen sie auseinanderliegen um noch als wiederkehrend wahrgenommen zu werden? Ab welcher Geschwindigkeit werden Klangwiederholungen nicht mehr als schnell sondern als statisch eingestuft? Gibt es hierzu absolute Parameter? und vieles mehr. Siehe hierzu auch Lehren – Forschung.

Marius Militzer
Marius Danielo Militzer live in Berlin © KGGB

Erstes Schlüsselwerk

Ein erstes Schlüsselwerk, das während seines Studiums an der Hochschule für Musik und Tanz Köln entstand, wurde daher, aufgrund dieses Forscherdranges und um einen erinnerungsfreien Zugang zu haben, nicht für die Gitarre geschrieben.

Das Werk Suite für Indische Sitars, Japanische Kotos und Deutsche Kontakttonabnehmer, forscht über klangliche Wahrnehmung und sich veränderndes Zeitempfinden.

Bisher ungehört, tauchen hier, durch ungewohnte Besetzung und mathematisch erstellte Strukturen, Atonalität und Elemente des Noise in dem Genre der Minimal Musik auf.

HTM Köln

Wichtige Eindrücke für die formale Sprache der Neuen Musik erhielt Marius Militzer während seines Studiums an der HMT Köln durch das Erstellen von Orchesterstudien für Gitarre von Kompositionen nach 1945 in Zusammenarbeit mit dem Schott Verlag. Durch das Studium der Orchesterpartituren gewann Militzer wertvolle Einblicke in die Kompositionstechniken von bekannten aber gerade auch von unbekannten und selten aufgeführten Werken der Zeitgenössischen Musik nach 1945.

Hinzu kam ein schon seit frühen Jahren bestehendes Interesse an etnologischen Musikkonzepten wie Drupat, Qawali, Maqam, Raga, Gamelan und anderen (siehe Frühe Jahre – Musikalische Horizonterweiterung). Eine von ihm zusammengetragene, ständig wachsende Sammlung seltener analoger Tondokumente und Konzerte entsprechender Künstler waren zusätzliches Material seiner Studien.

Hierbei interessierten ihn weniger vermeintlich exotische Skalen und Rhythmuskonzepte, als vielmehr die verschiedenen Konzepte des Hörens, wie das vertikalen Hören, dass die Idee eines zeitlichen Verlaufes komplett in seine Schranken verweist oder das Negativ-Hören, wie Militzer es in Anlehnung an die Analogfotografie nennt, bei dem die Aufmerksamkeit auf das Nichtereignishafte gehalten wird und so aus der Position der Zeitlosigkeit, die Zeit als rein phänomenhaft wahrgenommen wird.

Marius Militzer, Gitarre
Marius Danielo Militzer Foto: Heike Gottlieb © H.Gottlieb

Paris

Ebenfalls wichtig für seine weitere kompositorische Arbeit war seine Studienreise nach Paris. Siehe hierzu auch Ausbildung – HMT Köln. Durch die besondere akustische Gegebenheit der Stadt Paris, wurde Militzer herauskatapultiert aus dem üblichen Wahrnehmungszustand, der reflexartig intellektuell jedem akustischen Ereignis eine Klangquelle zuordnet. Die Alltagsklänge der Stadt wurden plötzlich, frei von einer vermeintlichen Ursache, als abstrakte und unabhängig agierende Ereignisse wahrgenommen. Sie boten sich in ihren Überlagerungen, ihren unvorhersehbar eintretenden Wiederholungen, ihren phasenhaften Verschiebungen und weiteren, unüberschaubar vielen Attributen als endlose und phantastische Komposition an, bei dessen Hören sich der Hörende, weil er ja unterschiedlich von dem Wahrgenommenen ist, außerhalb von Allem, inklusive der Zeit, wiederfindet.

Berlin

Marius Danielo Militzer studierte auf Eigeninitiative, während seines Studiums an der Universität der Künste, neben vielen Werken der Europäischen Moderne, wie Ligetis Klangflächenkompositionen, Scelsis Improvisationskompositionen, Henrys musique concrète, Schnittkes Polystilistik, Lachenmanns geräuschhafte Instrumentalwerke u.v.a. auch ausführlich die Partituren der US Amerikanischen Komponistenbewegung ab den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts, wie den Zufallskompositionen von John Cage, den extrem durchdachten Werken Morton Feldmans, z.B. seinem 4-stündigem Streichquartett, den mechanischen Tonkaskaden Conlon Nancarrows oder den Minimalisten wie Steve Reich, La Monte Young und Philipp Glass.

Besonders interessant war für Militzer bei diesen Komponisten, die Wechselwirkung und gegenseitige Einflussnahme mit den amerikanischen Malern des abstrakten Expressionismus der New York School wie Mark Rothko, Jackson Pollock, Cy Twombly und anderen.

Marius Militzer
Marius Danielo Militzer live in Berlin © KGGB

Genredefinierende Werke für die E-Gitarre

Seine Innovationskraft und seinen Forscherdrang stellte Militzer mit seinen ersten Werken für die elektrische Gitarre und live Elektronic unter Beweis. Hier untersucht er maximierte musikalische Parameter unter Beobachtung von sich ändernder Zeitwahrnehmung. Er verbindet dabei Kompositionstechniken der Neuen Musik mit Extremsounds.

Das Werk War erwies sich als Vorwegnahme des Drone Doom, einem Subgenre der Metal Musik, bei dessen späteren Aufkommen ebenfalls, wie im Werk von Militzer, auf einen Bandkontext verzichtet wurde.

Marius Militzer
Neue Sounds und neue musikalische Konzepte: Marius Militzer live – Foto: Lucas Emmanuel

Ebenfalls als antizipatorisch stellte sich die Komposition Sigh heraus, die sich mit ihrem brachialen Charakter und flirrenden Tonrepetitionen als Vorwegnahme des sogenannten Black Metal Riffings des Black Metals der 2. Generation offenbarte. Auch hier wurde später, ganz wie in den Kompositionen von Militzer, das erste Erscheinen dieses Subgenres ohne Bass, Gesang oder Schlagzeug zelebriert.

Heike Gottlieb Marius Militzer kunstgruppe GOTTLIEB KGGB Berlin live
kunstgruppe GOTTLIEB live © KGGB

Konzertstücke für die Konzertgitarre

Nach weiteren elektronischen Kompositionen, unter anderem für analoge Synthesizer, Effekte und Sprachsamples, entstanden die ersten Konzertstücke für klassische Gitarre. Marius Militzer entwickelte in diesen Kompositionen neben neuen instrumentalen Spieltechniken auch neue Reihentechniken und Kompositionsrichtlinien, sogenannte Prinzipien, wie Prinzip Konflux, Prinzip Virus, Prinzip Vibora etc.. Das erste Werk das nach dem Prinzip Konflux komponierte wurde, Konflux II, ging prompt als Preisträger beim Kompositionswettbewerb des Deutschen Tonkünstlerverbandes der Stadt Passau hervor.

Nach strengen, selbst erdachten, mathematischen Richtlinien wurde ein determiniertes Tonmaterial erschaffen, das mit dem Wirken freier Assoziation, Inspiration und spontanem Gestus, klassischer musikalischer Formprinzipien und Formungsmodellen der Bildenden Kunst agiert. Das Ergebnis ist verblüffend: auf engstem Raum entzündet sich ein Feuerwerk immer wieder neuer und selbstbewusster  Einfälle, trotz harter Schnitte und spannender Kontraste klingt nichts konstruiert oder vordergründig gewollt. Es entstehen kompakte und organische Klangstrukturen mit enormen Tiefgang, voller Esprit und musikalischer Empfingungskraft.

Auch von außermusikalischen Formungsüberlegungen ließ sich Militzer inspirieren. Dem Stück Static Manic liegen Überlegungen der Architektur und der Stadtplanung zugrunde. Nach seinem New York Aufenthalt, fasziniert von dem so abweichenden Stadtgrundriss Europäische Städte, erstellte Militzer einen quasi architektonischen Grundriss aus Tönen, der immer wieder punktuell beleuchtet wurde.

Marius Militzer untersuchte hier, ob sich in der Bewegung, also in der Musik, ein statisches, bewegungsloses Gebilde erzeugen ließ. Durch das punktuelle Beleuchten des Gesamtgrundrisses entstand in der Erinnerung des Hörers ein statisches Bild.

Hinzu kamen maschienenartige Werke, in denen er, inspiriert von seinem Wirken als Tellerwäscher, in der Autowaschanlage usw. (siehe Ausbildung – Lesen und Arbeiten), bewundernswert kompromisslos die Schönheit der Repetition unter der Einwirkung geringfügiger Abweichungen und Verschiebungen zelebriert.

Marius Militzer
Marius Militzer initiiert neue Spieltechniken sowohl für die Klassische Gitarre als auch für die E-Gitarre – Foto: Lucas Emmanuel

Die E-Gitarren-Kompositionen veränderten ihren Klang entsprechend den neuesten Entwicklungen der Gitarren-Elektronik. Mit seiner Neugier zur Erkundung aktueller und immer wieder neu entwickelter elektronischer Effekte wie Reverse Sounds, analoge Pitch Shifting Methoden, digitale bit crushing und time stretching Effekte usw. schafft Militzer auch für die E-Gitarre immer intensivere und stets hoch aktuelle Soundstrukturen.

kunstgruppe GOTTLIEB Heike Gottlieb Marius Militzer Zaunklang KGGB Berlin
CD Cover Komposition Zaunklang von kunstgruppe GOTTLIEB, Foto u. Gestaltung: H. Gottlieb

Soundkompositionen

In der Zusammenarbeit mit der Musikerin, Komponistin und Künstlerin Heike Gottlieb, entstanden, neben der Entwicklung eines neuen Musikgenres, hard performance music, das von der Fachpresse der E- und U-Musik gleichermaßen gefeiert wurde (siehe KGGB – Videos), entstanden aufwendige Soundkompositionen in denen die Grenzen von Musik und Bildender Kunst spektakulär zum Einsturz gebracht wurden.

Hervorzuheben sei hier die Komposition Zaunklang. Das Werk war Preisträger des internationalen Kompositionswettbewerbes Klangraum Kurfürstenstraße (Universität der Künste, UdK, Institut für Neue Musik und UNI.K.-UdK Studio für Klangkunst) und wurde über einen Zeitraum von 8 Wochen als Soundinstallation im öffentlichen Raum in Berlin Mitte präsentiert. Darüber hinaus wurde das Werk, erstmalig außerhalb von Europa, in Form einer Raum-Sound-Installation, im staatlichen Zentrum für Musik und Klangkunst (Centro Mexicano para la Musica y las Artes Sonores,  CMMAS) in Morelia, Mexico, von KGGB inszeniert.

kunstgruppe GOTTLIEB Heike Gottlieb Marius Militzer
kunstgruppe GOTTLIEB, Schallfest® – weltgrößte Klangkunstinstallation, Foto: Schaper

Weltgrößte Klangkunstinstallation

Mit der Komposition Schallfest®, dessen Uraufführung, laut der Publikation des Deutschen Musikrates und dem Magazin Focus, seither als größte Klangkunstinstallation der Welt gilt, schrieb KGGB Musik- und Kunstgeschichte.

In Kooperation mit einer Deutschen Großstadt, Dortmund, und zahlreichen Institutionen der Stadt, wie dem Airport, dem Hafen, der U-Bahn, der Feuerwehr, dem Zoo, einer Zeche, einem großen Museum, einem Frachtschiff, dem Olympiastützpunkt, religiösen Institutionen, einem Stahlwerk, einem großen Deutschen Fußballclub, internationalen Partnern und vielen anderen und der Bevölkerung der Stadt Dortmund, schuf KGGB ein Werk aus Sounds der Stadt, die über ein Jahr in dieser gesammelt wurden, und dessen Uraufführung als 40-tägiges Festival im Stadtraum (Flughafen, U-Bahn, Hafen usw.) von den beiden Künstlern Inszeniert wurde.

Neben zahlreichen ortsspezifischen Kompositionen beinhaltete das Werk auch eine Komposition für einen Autokorso, der mit 80 Wagen die Innenstadt durchfuhr (siehe KGGB – Video – Korso), sowie eine Soundkomposition, dessen Uraufführung, in einer leeren Hotelsuite eines 4-Sterne Hotels hoch über der Stadt, vom Fachpublikum als Geniestreich gefeiert wurde und inzwischen als legendär gilt.

Der Titel des Werkes Schallfest® ist als geschützte Marke eingetragen.

kunstgruppe GOTTLIEB Heike Gottlieb Marius Militzer
Offizielles Plakat zu Schallfest® – weltgrößte Klangkunstinstallation von kunstgruppe GOTTLIEB, Foto: Schaper, Gestaltung: KGGB, Satz: B. Fleck